Wie wir wurden, was wir sind. Das Hohe C - auch ein Resultat glücklicher Umstände: die tst-Story, zweiter Teil.
Dem Weg zum Himmel wird nachgesagt, er sei steinig. Mitunter spielen aber auch glückliche Umstände eine Rolle, so zum Beispiel bei Thorsten Stadler und dessen Unternehmen tst sport + technik. Auch wenn die hochtechnologisch anmutenden C-Klassen von Mercedes-Benz in ihrem letzten Entwicklungsstadium auch heute noch einen Hauch von ganz großer Show verbreiten, war dem nicht immer so. Glückliche Umstände legten vor sieben Jahren den Grundstein zu jener Alleinstellung, die die Spezialisten für Sport- und Renntourenwagen im Zeichen des guten Sterns auf allen Straßen aus Hann.-Münden heutzutage innehaben. Carsten Krome dokumentiert die Meilensteine nach dem 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring 2013. Dass die Geschichte auf dem Hof eines Smart- und Gebrauchtwagenhändlers im Großraum Karlsruhe beginnt, ist allerdings kein Zufall: die tst-Story, zweiter Teil.
„Da schraubst Du jahrelang, und dann kriegst Du ein Ergebnis!“ Thorsten Stadler ist völlig außer Atem, ringt um Fassung. Soeben hat er auf dem Norisring einen bedeutenden Erfolg eingefahren. Vor der versammelten DTM-Elite der Gegenwart triumphiert er am Sonntagvormittag in einem 40-minütigen Rennen historischer DTM-Tourenwagen. Und da sein eigener Mercedes-Benz, eine C-Klasse nach dem Klasse-1-Reglement, 1994 einmal ein veritabler Werkswagen gewesen ist, passt er an jenem 2. Juli 2017 auf dem Stadtkurs im Herzen Nürnbergs bestens ins Bild. Dass er mit dem ursprünglich von Ellen Lohr gefahrenen Viertürer nicht zum ersten Mal im Millimeterabstand vorbei an der kolossalen Steintribüne zum Sieg eilt, ist im Augenblick des Erfolgs nicht jedem bewusst. Und doch ist es wahr, denn schon 2014 bringt Thorsten Stadler die technisch anspruchsvolle C-Klasse ins Land der Franken – nach einer Odyssee bis in die Vereinigten Staaten ist dies der erste große Auftritt seines Re-Imports. Eigentlich hat er ja nur eine andere Rennkarosse komplettieren wollen und dafür in aller Welt Originalteile gesucht. Er findet sie schließlich auch – allerdings ganz schön weit weg, in den USA. „An dem Ersatzteilpaket hing letztlich ein ganzes Auto – Ellen Lohrs Einsatzwagen aus der DTM-Saison 1994,“ erinnert sich Thorsten Stadler.
Die einzige Hürde neben dem rein (betriebs-)wirtschaftlichen Aspekt: Der DTM-Veteran ist in einen tief verschneiten Teil Amerikas veräußert worden – und muss von dort nun wieder abgeholt werden: keine leichte Aufgabe, in deren Lösung der Einheimische Bobby Rahal involviert ist. Der ehemalige Spitzenfahrer und -Manager hat ein Herz für das historische Metier. Selbst besitzt er neben einem eigenen Rennstall in der Indycar-Formel lange einen der immens wertvollen Porsche 908/3. Zurück zur C-Klasse: Nachdem die edle Fracht in Bremerhaven angelandet und weiter nach Hann.-Münden verbracht worden ist, ergibt eine Bestandsaufnahme vor Ort, dass dort nun bereits zwei echte Gitterrohrrahmen-Chassis im Bestand sind. Das erste Fahrgestell ist aus einem Gebrauchtwagenhändler-Netzwerk im Großraum Karlsruhe hervorgegangen. Ein Smart-Vermarkter weiß von einem Kollegen, der ein 1994 für Bernd Schneider geplantes Reserve-Fahrgestell ohne eine Einsatzhistorie in seinem Bestand hat. Der Torso ist zwar nicht komplett, Aggregate fehlen, doch der Gesamtzustand der seltenen, seinerzeit noch bei Mercedes-Benz im Sonderfahrzeugbau auf der Richtplatte geschweißten Substanz erweist sich als lohnend. Inzwischen erstrahlt das Gehäuse wieder im einmaligen Flip-Flop-Lack, der 1994 von Grün nach Blau und wieder zurück changiert. So gehen Bernd Schneider und sein Teamkollege Roland Asch in der ersten Tourenwagen-Bundesliga 1994 an den Start.
An den Start geht 20 Jahre später – im Juni 2014 – auch Thorsten Stadler. Zwei Jahrzehnte nach seiner Glanzzeit in der DTM ist das Chassis RS95-0205 wieder voll einsatzbereit. Bei den Norisring Race Classics kehrt es an seine wichtigste Sportstätte, den Stadtkurs im Herzen Nürnbergs, zurück. Zwar handelt es sich bei den Norisring Race Classics um kein Autorennen im klassischen Sinne, sondern vielmehr um eine Gleichmäßigkeitsfahrt hinter dem Führungswagen der Rennleitung – der Atmosphäre im weiten Rund tut dies jedoch keinen Abbruch. Für viele ist die gute, alte Zeit zurückgekehrt, als Klaus Ludwig mit 44 Jahren noch einmal Deutscher Tourenwagen-Meister wird – zum dritten und auch letzten Mal nach 1988 und 1992. Der Roisdorfer Starpilot ist Ellen Lohrs Rennstall-Kollege im AMG-Werksteam von Mercedes-Benz, sein Einsatzwagen sieht dem der Mönchengladbacherin zum Verwechseln ähnlich – bis auf die Startnummer natürlich: Ludwig ist 1994 mit der für ihn prägenden Sieben unterwegs, Lohr mit der Acht. Drei Jahre später besuchen beide den Bewahrer ihrer Rennsport-Historie im Fahrerlager des Nürburgrings. Im Rahmenprogramm der neuzeitlichen DTM liefern sich ihre Vorgänger ein (Regen-)Rennen über 40 Minuten. Wenige Wochen zuvor hat der so Geehrte am 2. Juli 2017 auf dem Norisring triumphiert – und ein bemerkenswertes Netzwerk erschaffen. Inzwischen schießen die Sechszylinder-Renner mit ihren 500 PS und mehr aus 2.500 ccm Hubraum wie die Pilze aus dem Boden.
2015 gesellt sich die schon dritte C-Klasse dazu. Dabei handelt es sich um das 1995 vom Niederrheiner Jörg van Ommen gefahrene DTM-Vizemeisterauto im distinguierten Braunton der Duftwasser-Marke Tabac Original. Es ist der Bayer Ludwig „Lucky“ Zechetmair, der den High-Tech-Rennboliden auf geradezu abenteuerliche Weise „hochklappt“, wie er selbst zu sagen pflegt. Er transportiert das Anschauungsobjekt einer Berufsschule aus dem ersten Stock zurück in die Freiheit und dient es Thorsten Stadler an. Der hat in der Zwischenzeit mit Wolfgang Heindel, Bernd Ramler und anderen einige erfahrene Know-how-Träger um sich geschart, die ihm immer wieder mit Rat und Tat zur Seite stehen. In Jörg Hatscher, seinem Freund und Partner mit dem „Baby-Benz“ von der Nürburgring-Nordschleife, findet sich ein begeisterungsfähiger Klient für den Zechetmair-Fund. Annähernd drei Jahre später, im Februar 2018, wird er vor laufender YouTube-Kamera sagen: „So, dann mach mal los!“ Er ist der Moment, in dem der Motor erstmals wieder zum Leben erweckt wird und seinen ersten Schrei von sich gibt. Im Oktober desselben Jahres sitzt mit Jörg van Ommen der ehemalige Einsatzfahrer erstmals wieder im Cockpit. Ort der Handlung: das DTM-Finale 2018 auf dem Hockenheimring. Mercedes-Benz verabschiedet sich an jenem denkwürdigen Oktobertag aus der Tourenwagen-Bundesliga, drei Jahrzehnte nach dem semi-offiziellen Einstieg über den Ammerbucher Ford-Vertragshändler Roland Asch und dessen 190 E 2.3-16.
Mehr denn je liegt der Fokus nun auf der Tradition – fast unnötig zu erwähnen, dass auch Jörg Hatscher bereits seit 2017 mit einer C-Klasse der letzten Ausbaustufe Motorsport betreibt. Der Kaufmann von der südlichen Nordsee hat für sich selbst den 1996 zunächst von Jan Magnussen in der DTM-Nachfolgeserie ITC präsentierten AMG-Mercedes in Betrieb genommen. 2019 lässt er noch ein Test- und Entwicklungsmodell des abschließenden ITC-Jahrgangs 1996 folgen, in dem angelegentlich auch Klaus Ludwig seine Klasse unter Beweis stellt. Der Ex-Meister gibt sich in Spa-Francorchamps, in Zandvoort und auf dem Nürburgring die Ehre. Die Besonderheit: Am Trainingssamstag auf dem Eifelkurs feiert der leidenschaftliche Jäger 70. Geburtstag. Freunde, Rennfahrer-Kollegen und Weggefährten feiern mit ihm ein stimmungsvolles Fest, natürlich ist auch Thorsten Stadler mit von der Partie. Sein Bestand an kompletten oder noch nicht zu hundert Prozent zusammengefügten C-Klassen ist innerhalb sechs ereignisreicher Jahre auf sagenhafte neun Einheiten angewachsen. Die eine oder andere glückliche Fügung, stets verbunden mit einem gewissen Maß an Beharrlichkeit und engagierter, handwerklicher Arbeit, hat dazu geführt. Mögliches Motto: Es ist angerichtet – für die eine oder andere schnelle Stern-Fahrt.
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