Mit zwei teameigenen C-Klassen der Marke Mercedes-Benz und zwei weiteren Klasse-1-Boliden des Kunden INTAX Motorsport in der Betreuung meisterte tst sport + technik auf dem Lausitzring eine große logistische Herausforderung. Ein Sieg und ein zweiter Platz waren das Ergebnis eines mehr als arbeitsintensiven Wochenendes beim ersten Auftritt der DTM Classic im Schulterschluss mit der Rennsport-Serie Tourenwagen Legenden. Das Bemerkenswerte: Beide Spitzenergebnisse gingen auf das Konto des ältesten der vier technisch komplexen Klasse-1-Boliden am Platz.
So lief das Qualifying: Klaus Ludwig zur Pole-Position – mit sekundengenauer Ansage.
Da staunte selbst Patrick „Patty“ Schellberg nicht schlecht: Klaus Ludwig sagte nach dem Freien Training voraus, im Qualifying eine Bestzeit von 1:38.3 Minuten auf dem 4,601 Kilometer langen Lausitzring vorlegen zu können – und exakt das, auf die Zehntelsekunde genau, tat er dann auch. Fast schon beängstigend: Er benötige eine einzige Runde zum Einrollen, bevor er mit der zur ITC-Saison 1996 als Testcar von AMG-Mercedes aufgebauten, gelben C-Klasse von INTAX Motorsport mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks zuschlug. Anschließend beobachtete er das weitere Geschehen von den Boxen aus – nicht, um seine Überlegenheit zu demonstrieren, sondern vielmehr, um sein Material zu schonen. Der dreifache Titelgewinner der klassischen DTM kommentierte: „Die erste Runde muss sitzen! So habe ich es immer gehandhabt. Hinzu kommt, dass mein Träumchen von einem Rennauto noch die ganze Saison durchfahren soll. Da macht es Sinn, auch einmal auf die Ökonomie zu schauen.“
Mit einem Rückstand von 1,726 Sekunden kam Jörg van Ommen auf den zweiten Rang im Qualifying. Von seinem Original-Einsatzfahrzeug aus der Saison 1995 hatte sich der DTM-Vizemeister desselben Jahres ein wenig mehr erhofft. Doch der hochdrehende, 2,5 Liter große V6-Motor setzte nicht die gewohnten 510 PS frei. Eine der zwei im Winkel von 90 Grad gegenüberstehenden Zylinderbänke lief nicht ganz rund, van Ommen musste improvisieren und konnte nach Ablauf der 20-minütigen Qualifikationssitzung froh sein, seinem Team INTAX Motorsport zumindest die Doppelführung beschert zu haben. Beide C-Klassen werden von tst sport & technik in Hann. Münden technisch begleitet – eine logistische und personelle Herausforderung, zumal die Mannschaft noch zwei weitere C-Klassen auf dem Lausitzring an den Start brachte. Das Besondere daran: drei der vier Klasse-1-Boliden, die zwischen 1994 und 1996 entstanden sind, weisen unterschiedliche Technik- und Entwicklungsstände auf. Während die 1994 von Ellen Lohr in der DTM gefahrene C-Klasse noch ein klassisch auf Stahlblech-Rohkarosse aufgebauter Renntourenwagen ist, basiert die 1996 vom Dänen Kurt Thiim gesteuerte Letztstand-Ausführung der ITC auf einem Gitterrohrrahmen mit eingearbeiteter Monocoque-Struktur: Im Rennwagenbau sind das zwei Welten.
Die Konsequenz: eine Vielzahl Performance-relevanter Daten. Kurt Thiim, der zusammen mit Fahrzeugbesitzer Guido Momm den fünften Startplatz erreichte, analysierte: „Auf den ersten Blick sind 4,980 Sekunden Zeitdifferenz auf einer einzelnen Runde erst einmal viel, auf den zweiten Blick aber eine logische Folge der Entwicklungssprünge, die damals zwischen den Einsatzjahren einfach an der Tagesordnung gewesen sind.“ Noch vor Kurt Thiim schob sich ausgerechnet dessen Original-Einsatzfahrzeug aus der ITC-Spielzeit 1996, inzwischen vom tst-Teamchef Thorsten Stadler gesteuert. Der zweifache Titelgewinner im historischen Tourenwagen-Rennsport kam in acht Umläufen auf eine schnellste Rundenzeit von 1:42,729 Minuten.
So lief das erste Rennen: dreimal Drama – und mit Platz zwei doch noch ein Happy-End.
Das erste Rennen über 30 Minuten am Samstagnachmittag war noch nicht freigegeben, als die Techniker von tst sport + technik zum ersten Mal geschlossen die Luft anhielten: Jörg van Ommen scherte unmittelbar vor der Startfreigabe aus, steuerte die Boxengasse an und entstieg seiner 1995 von ihm selbst zur DTM-Vizemeisterschaft gesteuerten C-Klasse aus dem Fundus von Jörg Hatscher und INTAX Motorsport. Die Rätsel, die das Benzinsystem aufgab, erwiesen als nach wie vor nicht zu lösen. Pole-Setter Klaus Ludwig sprintete zunächst als Solist aus der ersten Reihe mit einem Blitzstart auf und davon. Zehn Sekunden Vorsprung legte er in der Anfangsphase zwischen sich und seine Verfolger, ehe Stefan Rupp im Alfa Romeo 155 V6 ti ITC plötzlich aufkam und den dreimaligen Sieger der 24 Stunden von Le Mans sogar überholen konnte. Wenig später blieb der INTAX-Mercedes mit der Startnummer 2 sogar ganz stehen. Ludwigs düstere erste Vermutung, ein Motorschaden könne für den Ausfall nach neun Runden verantwortlich sein, bewahrheitete sich nicht. Vielmehr stellte sich heraus, das ein aufgrund der Vibrationen auf dem Lausitzring gelockerter Sensor Auslöser des Dilemmas war – Doppelausfall für die Doppelspitze von INTAX Motorsport.
Damit war das Pensum an Schrecksekunden noch immer nicht erfüllt. Denn auch den Teamchef Thosten Stadler erwischte das Pech. Besser formuliert: Im Zweikampf mit Stefan Rupp erwischte der als sehr nervensicher geltende Steuer-Mann im Cockpit des Mercedes einen Bremspunkt nicht richtig. Die nun folgende Rutschpartie durchs Gras führte zu kosmetischen Korrekturen am Frontmodul – behebbar zwar, aber nicht unbedingt von aerodynamischem Vorteil. Doch da gab es noch den vierten im Bunde: Guido Momm. Unauffällig drehte der erst in seinem dritten vollen Einsatzjahr aktive Rennfahrer in der 1994er C-Klasse seine Runden – um hinter dem Sieger Stefan Rupp auf dem zweiten Gesamtrang ins Ziel zu kommen! Auf den verbleibenden Podiumsrang kam mit dem Niederländer Gerbert Luttikhuis der Kundenpilot eines ebenfalls von tst sport + technik aufgebauten und in größeren Umfängen begleiteten Mercedes-Benz 190 E 2.5-16 Evo II. Vor drei Jahren feierte die Kombination aus Fahrer und Fahrzeug ihren Einstand, damals ebenfalls auf dem Lausitzring.
(Zwischen-)Fazit: alle größeren und kleineren Probleme reparabel, zwei Podiumsplatzierungen und der Ausblick auf eine lange Nacht, um das technisch anspruchsvolle Material für den zweiten und abschließenden Renndurchgang wieder einsatzbereit zu bekommen.
So lief das zweite Rennen: Kurt Thiim – ein Siegertyp von unbeugsamer Willenskraft.
24 Stunden nach der ersten Partie kam es am Sonntagnachmittag zur zweiten. Aus dem Rennergebnis des ersten Durchgangs ergab sich die Startaufstellung für den zweiten Lauf. Als Sieger des Vortages stand nun Stefan Rupp im Alfa Romeo auf der Pole-Position, während Kurt Thiim das Cockpit von Guido Momm auf dem zweiten Startplatz übernahm. Thorsten Stadler reihte sich an der vierten Position ein, weiter hinten stellten sich Jörg van Ommen und Klaus Ludwig auf ihre Aufholjagden ein – im Tandem? Wie sich kurz nach der Startfreigabe herausstellte, sollte sich allein Klaus Ludwig nach vorn orientieren. Wie bereits zu Beginn des ersten Rennens kam Jörg van Ommen nach der Einführungsrunde an die Box. Die Probleme mit dem Benzinsystem blieben weiterhin ungelöst. Am Einlenkpunkt der ersten Kurve nach der Start- und Zielgeraden, 260 km/h liegen dort an, stach Ludwig bereits an vierter Stelle hinter Thiim, Rupp und Stadler ins überhöhte „Banking“ des Turn 1. Kurze Zeit später kam es zum Platztausch zwischen der gelben und braunschwarzen C-Klasse, Klaus Ludwig passierte im Kurvengeschlängel vor der überhöhten Einfahrt in die Start- und Ziel-Gerade.
Sodann eröffnete Ludwig die Jagd auf den führenden Kurt Thiim in der zwei Jahre älteren C-Klasse des Jahrgangs 1994. Doch „Danish Dynamite“ hielt dem Druck bis zum Fallen der Zielflagge stand, feierte einen hart erkämpften Sieg. Nachdem Stefan Rupp mit technischem Defekt am Alfa Romeo ausgefallen war, stellte Thorsten Stadler einen dreifachen Triumph der Klasse-1-Mercedes-Benz sicher. Zwei Runden vor Schluss erwischte es Gerbert Luttikhuis, der tags zuvor noch als Gesamtdritter einen Podiumsrang erreichte. Zuerst streifte er sich die Bugschürze ab, dann erhielt er von einem nachfolgenden Teilnehmer einen Schubser. Als unmittelbare Folge des Zwischenfalls rollte der „Baby Benz“ im weiß-gelben „Kärcbert“-Design ohne Antrieb aus. Die Vermutung des Niederländers: „Da ist etwas im Bereich der Kraftübertragung gebrochen.“ Schon in weniger als 14 Tagen setzt sich das Veranstaltungsprogramm der DTM Classic/Tourenwagen Legenden fort. Mit dem Omloop Terlamen Zolder in der belgischen Provinz Limburg steht ein Traditionskurs der klassischen DTM auf dem Programm – und ein heißer Kurzentanz. Das mögliche Motto lautet: Es könnte eng werden, sehr eng.
Verantwortlich für den Inhalt: Carsten Krome, netzwerkeins GmbH
Fotografie: Farid Wagner, pitwall media, für tst sport und technik
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