Der Mercedes-Benz 190 E der Klasse 1 war ein Wanderer zwischen den Welten. Basierend auf der letzten Evolutionsstufe der klassischen DTM, kam das lediglich 1.300 Millimeter hohe Übergangsmodell vor der C-Klasse nur in den Jahren 1993 und 1994 zum Einsatz. Ein sporthistorisch bemerkenswertes Exemplar entstand aus dem Siegerwagen der DTM-Saison 1992. Damit sicherte sich Klaus Ludwig den zweiten Titelgewinn in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft. Nach Ausflügen in den Bergrennsport fand das Original in die Sammlung des Oldenburgers Jörg Hatscher – mit umfangreichen Modifikationen und anderen Spuren einer bewegten Vergangenheit. tst sport + technik nahm sich der Aufarbeitung am Standort Hann.Münden an: ein Langzeitprojekt mit hohem technischem Anspruch.
1993 führte Mercedes-Benz die C-Klasse in den Weltmarkt ein. Die Ablösung des erfolgreichen „Baby-Benz“ (Typ W 201) hatte natürlich auch Konsequenzen im Tourenwagen-Rennsport. Denn obwohl mit der Klasse 1 ausgerechnet 1993 ein neues Reglement für die populäre DTM in Kraft trat, durfte das neue Modell nicht von Anfang an zum Einsatz kommen. Es galt als ein ungeschriebenes Gesetz, dass vor dem Start eines neuen Großserien-Modells keine Sporteinsätze stattfinden konnten, erst recht nicht auf Werksebene. Dies wäre allein schon aufgrund der vor Produktionsbeginn fehlenden Homologation rein sportrechtlich nicht möglich gewesen. Die Konsequenz: Statt von Beginn an in der neuen Klasse 1 auf die ebenfalls neue C-Klasse zu setzen, musste eine Übergangslösung von kurzer Halbwertzeit gefunden werden. Diese bestand in der Umrüstung des bestehenden Mercedes-Benz 190 E 2.5-16 der DTM-Gruppe A in eine lediglich 1.300 Millimeter hohe Klasse-1-Ausführung. Das Ergebnis: ein klassischer Renntourenwagen mit Spoilerwerk und deutlich verbreiterten Kotflügeln. Auch wenn dem Vierzylinder-Herausforderer kein langes Leben beschieden sein sollte, hinterließ er dennoch einen nachhaltigen Eindruck. Sammler schätzen ihn, den kleinauflagigen, aggressiv ausschauenden Viertürer mit dem exponierten Doppelspalt-Heckflügel – dabei ist es fast Glücksache, eins der wenigen Exemplare zu ergattern.
Dem Oldenburger Unternehmer Jörg Hatscher war ein solches Glück beschieden, als er 2011 bei einem Schweizer Bergrennfahrer fündig wurde. Der hatte den 1992 von Klaus Ludwig zum DTM-Titelgewinn gefahrenen und während der ersten Saisonhälfte 1993 von Bernd Schneider übernommenen Ex-Werkswagen mit der Chassisnummer E201 92 43 allerdings weitreichend überarbeitet. Neben einer breiteren Spur war einiges an Energie in extremen Leichtbau geflossen. Selbst an den Innenseiten der Dachholme befanden sich Erleichterungsbohrungen. Als der Re-Import aus dem Heimatland Wilhelm Tells immer konkreter wurde, zeichnete sich bald ab, dass eine aufwändige Voll-Restaurierung kaum zu umgehen sein würde. Schließlich galt es, die Ur-Substanz so gut wie nur eben möglich zurück in ihren Zustand zu Beginn des Klasse-1-Zeitalters 1993 versetzen. Damals startete der in Blauschwarz metallic und Weiß gestaltete Rennbolide im Ornat eines Sponsors aus der Autopflege-Industrie. tst sport + technik nahm sich dieser anspruchsvollen Aufarbeitung an, federführend Thorsten Stadler.
Dieser kommentiert in der Nachbetrachtung: „Bis wir die Karosserie aus der Entlackung im Tauchbad zurückerhalten hatten, die Erleichterungsbohrungen alle wieder verschlossen waren und schließlich neues Blauschwarz metallic auf dem beulenfreien Blech verteilt werden konnte, ist einige Zeit vergangen. Hätte unser Freund und Kunde in der Zwischenzeit nicht noch andere Renntourenwagen mit unserer Unterstützung in Betrieb genommen, hätte es mit Sicherheit auch schneller gehen können. So aber galt immer wieder die Maßgabe, anderen, aktuellen Einsatzprogrammen die erste Priorität einzuräumen.“ Inzwischen kommt aber wieder mehr Bewegung in das Langzeitprojekt mit der Chassisnummer E201 92 43. Kunststück: Das am 27. März 1992 offiziell ins DTM-Geschäft entsandte Fahrgestell feiert bald 30. Geburtstag.
Von 30 Lebensjahren ist in der Rennwerkstatt an der Hedemündener Straße in Hann-Münden nichts mehr zu sehen. Die Oberflächen und Spaltmaße sind von absoluter Top-Qualität, das Lackbild homogen. „Die Komponenten sind allesamt vorhanden, ohne Ausnahme revidiert – bald kann der Zusammenbau beginnen“, schätzt Stadler die Situation realistisch ein. Dann erstrahlt ein Stück DTM-Geschichte, das nach der Ausmusterung Ende 1994 zunächst von Norbert Brenner über schmale Berg(Renn-)strecken gescheucht worden ist, im neuen Glanz. Mögliches Motto: They always come back. Frei übersetzt: Irgendwann kommen sie alle zurück, irgendwie.
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