Auf den ersten Blick scheint es eine außergewöhnliche Kombination zu sein. Doch wenn der dänische Rennfahrer Kris Nissen, geboren 20. Juli 1960 in Arnum, Dänemark, am dritten Maiwochenende ins Cockpit der C-Klasse von tst sport + technik steigt, wird dies nicht der erste Einsatz mit einem Mercedes-Benz sein – erst recht nicht auf dem Nürburgring, im Rahmen des 24-Stunden-Rennens. Schon am 21. Juni 1986 startete der langjährige Geschäftsführer von Volkswagen Motorsport im Zeichen des Sterns beim Eifel-Klassiker. Der nach dem Reglement der Gruppe A vorbereitete 190E 2.3-16 der Scuderia Kassel ist mit dem zehn Jahre jüngeren ITC-Boliden anno 1996 zwar nur schwerlich zu vergleichen, aber dennoch: Der Auftritt an der Seite der Teamkollegen Volker Weidler und Peter Oberndorfer blieb ein erster Schritt des damals 25-jährigen Formel-3-Piloten in Richtung Tourenwagen-Rennsport. Daran knüpft Nissen, der im Jahr 2000 seinen letzten DTM-Start mit einem Abt-Audi TT-R absolvierte, nun an.
Die Schlagzeilen:
37 Jahre nach dem 14. Int. ADAC 24-Stunden-Rennen Nürburgring 1986: Tourenwagen-Ass Kris Nissen kehrt auf dem Eifelkurs ins Cockpit eines Mercedes-Benz zurück.
Eine rein dänische Angelegenheit: Nissen übernimmt das Cockpit der C-Klasse von AMG-Mercedes-Benz, die 1996 von seinem Landsmann Kurt Thiim gefahren worden ist.
Der nächste DTM-Rennsieger im dunkelbraunen Klasse 1-Boliden von Thorsten Stadler: nach Kurt Thiim und Klaus Ludwig startet nun der einstige Volkswagen-Sportchef.
Hann.Münden. Dass Kris Nissen ein veritabler Hochkaräter ist, steht nicht erst seit Testfahrten mit dem Zakspeed-Formel 1 1986 außer Frage. Der Däne gewann 1994 den prestigeträchtigen DTM-Lauf auf dem Norisring mit dem Alfa Romeo 155 V6 Ti vor seinem Landsmann Kurt Thiim. Anschließend testete er noch einmal einen damals aktuellen Formel-1-Monoposto, diesmal einen Sauber C13. Der Deutschen Tourenwagen-Bundesliga blieb er bis ins Jahr 2000 treu, als er einen Abt-Audi TT-R pilotierte. Anschließend gründete er 1st Choice Racing und wurde 2003 zum Geschäftsführer von Volkswagen Motorsport ernannt. Neun Jahre bekleidete Nissen diese Position, ehe er zum 1. Mai 2012 auf seinen eigenen Wunsch zurücktrat. Seitdem ist der ehemalige Volkswagen-Werksfahrer in der Deutschen Formel-3-Meisterschaft 1986 im historischen Tourenwagen-Rennsport wieder als Fahrer unterwegs, zuletzt mit einem in eigener Regie betriebenen BMW M3 E30. In der langen Sammlung seiner schnellsten Einsatzfahrzeuge fehlt noch ein AMG-Mercedes-Benz der Klasse 1. Der mehr als 500 PS leistende Gitterrohrrahmen-Bolide des Jahrgangs 1996 stellt für professionelle Piloten eine enorme Herausforderung dar. Das galt einst auch für Kris Nissens Landsmann Kurt Thiim, der das Chassis RS 96 0234 ursprünglich gefahren hat – eine rein dänische Angelegenheit also.
Zuletzt steuerte der dreifache DTM-Titelgewinner Klaus Ludwig den dunkelbraun lackierten Viertürer von tst sport + technik auf dem Hockenheimring. Eine offene Lunkerstelle im Guss des Kurbelgehäuses am V6-Motor ließ Kühlflüssigkeit austreten, der vorzeitige Rückzug der Startnummer 76 beim Saisonauftakt der „Tourenwagen Legenden“ war die Konsequenz. Bis zum dritten Maiwochenende steht Fahrzeugbesitzer Thorsten Stadler vor der Aufgabenstellung, das technisch komplexe Aggregat instandzusetzen. Außerdem sind er und Fahrzeugleiter Patrick Schellberg für das technische Wohlbefinden einer zweiten C-Klasse zuständig, in die Klaus Ludwig im Rahmen des 24-Stunden-Rennens auf dem Nürburgring (18. bis 21. Mai 2023) nun planmäßig umsteigen wird. Sein bisheriger Fahrerplatz ist somit frei, Kris Nissen wird ihn übernehmen. Auch wenn er nach dem Alfa Romeo 155 V6 Ti anno 1994 bisher noch nicht den Opponenten aus Affalterbach bei Stuttgart gefahren hat: Sein erstes Engagement mit einem Mercedes-Benz ist es nicht. Vor 37 Jahren, beim 14. Int. ADAC 24-Stunden-Rennen Nürburgring 1986, saß er nämlich als junger Formel-3-Kämpfer erstmals in einem Renntourenwagen im Zeichen des Sterns. Volker Weidler und Peter Oberndorfer waren seine Teamgefährten im 190E 2.3-16 Gruppe A der Scuderia Kassel, das Trio fiel vorzeitig aus.
Beim zweiten diesjährigen Wertungslauf der „Tourenwagen Legenden“ im Vorprogramm des Langstrecken-Klassikers auf dem Eifelkurs will Kris Nissen die Chance wahrnehmen, mit dem Benz im Gegensatz zu 1986 ein zählbares Ergebnis einzufahren. Wie hart er im Zweikampf noch immer einzusteigen weiß, zeigte der Wahl-Schweizer mit Wohnsitz im Kanton Luzern im Mai des vergangenen Jahres auf dem Lausitzring, als er sich mit Ronny Scheer (Ford Sierra RS 500 Cosworth) und Marc Hessel (BMW 320iS BTCC) bis zum Fotofinish auf der Ziellinie ein sehenswert geführtes Scharmützel um den Sieg lieferte. Damit rechnet er auf dem Nürburgring eigentlich nicht. Rennstall-Kollege Klaus Ludwig bringt auf dem identischen Fahrzeug einen mehrjährigen Erfahrungsvorsprung mit. Die sportjournalistische Frage wird lauten: Kann er das wettmachen, der Mann aus Nordeuropa, pardon, aus Helvetien? Wir werden Sie auf dem Laufenden halten.
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